Verschwörungstheorien gab es zu allen Zeiten in allen Facetten; auch der kluge Pythagoras wollte die Welt komplett und radikal durch Zahlen erklären. Wer in seinem Geheimbund dieses anzweifelte, konnte schnell ausgestoßen werden oder gar mit Schlimmerem rechnen. Gleichzeitig gab es aber immer rationale Gegenbewegungen, gerade in Griechenland, wie Demokrit, von dem der großartige Satz stammen soll: es gibt nur Atome und leeren Raum, alles andere ist Meinung.
Trotzdem ist die aktuelle Situation strukturell anders. Noch vor gut 30 Jahren brauchte es viel Zeit, wenn man sich in ein Thema gründlich einarbeiten wollte. Manchmal musste man sogar in andere Städte reisen, um Bibliotheken zu besuchen, wenn einem der Postweg zu lang oder es zu teuer war, die Literatur zu bestellen. Fast immer kam dann heraus, dass das Ergebnis am Ende ziemlich anders war, als man es sich vorgestellt hatte. Das ist auch heute noch so. Anders ist heute jedoch der enorm schnelle Zugang zu fast allen relevanten Informationen durch das Internet. Ist es aber dadurch besser geworden? Auf den ersten Blick ja, auf dem zweiten nicht unbedingt, denn man muss viel mehr als früher die Spreu vom Weizen trennen. Viele der Antworten, die man sucht, sind bereits vorformuliert, so dass man sich scheinbar nicht mehr anstrengen muss. Das zeigt auch die große Plagiatswelle in wissenschaftlichen Arbeiten. Das wird noch verstärkt durch Video- und Audiobeiträge, die die Eingängigkeit noch verstärken. Unmerklich wird das Großhirn dabei immer mehr ausgeschaltet. Und das ist radikal anders als früher.
Das Problem wurde jetzt durch die Pandemie besonders deutlich. Dabei geht es gar nicht um die bloßen Verschwörungstheorien. Die völlig abstrusen, z. B. dass Bill Gates mit der Impfung Chips implantieren würde, sind wegen ihrer Offensichtlichkeit nicht das Problem, jedenfalls nicht für die Leser dieses Buches. Problematischer ist das Einschleichen von ideologischen Bewertungen (früher wurde so etwas Vorurteil genannt) in vielen Beiträgen. Dabei sind selbst große Tageszeitungen und Stellungnahmen von wissenschaftlichen Fachgesellschaften davon nicht ausgenommen. Der nach seinem Auftrag eigentliche Garant für objektive Information, der öffentlich-rechtliche Rundfunk geht hier sogar mit besonders schlechtem Beispiel voran.
Andreas Edmüller geht dieses Problem methodisch an. Man spürt seine 30jährige praktische Erfahrung als Konfliktmanager, denn er geht systematisch und redundant vor. So, dass er auch sicher ist, dass die Information nicht nur gehört, sondern auch verstanden wird. Er zeigt, dass kein sicheres Mittel gibt, den Wahrheitsgehalt einer scheinbar offensichtlichen Verschwörungstheorie zu erkennen. Als Widerlegung nennt er als Beispiele Wirecard, Watergate und die Autokonzerne mit ihren Softwaremanipulationen beim Abgas. Bei Wirecard hielten viele Medien und staatliche Aufsichtsbehörden die Angriffe, vorwiegend von der Financial Times, lange für eine Verschwörung. Die Zeitung bekam Strafanzeigen, sogar von der deutschen Finanzaufsicht BaFin. Die Financial Times hätte durch die Anklagen in Insolvenz gehen können, wenn sie nicht so mutig gegengehalten hätte. Daran zeigt sich besonders eindrucksvoll, wie wichtig es ist, auch scheinbar serösen Informationen zu misstrauen.
Wie kommt man aber der Sache auf den Grund. Edmüller gibt hier einen Leitfaden: 1. Primär vorurteilslos hergehen an eine vermeidliche Verschwörungstheorie. 2. Wann wird aus einer Annahme eine Theorie? 3. Ist die Theorie plausibel und liefert sie eine Begründungslast? 4. Kritische Analyse von Daten. 5. Erkenntnis- und Beweisverfahren (Verifikation, Logik, Praktikabilität) 6. Widerlegungsmöglichkeit (Falsifikation)? 6. Dynamik und Analyse im Zeitverlauf. 7. Redlichkeit im Umgang im Diskurs mit Befürwortern und Gegnern.
An diesem roten Faden werden immer wieder die gleichen Beispiele analysiert, aber auch neue eingeflochten. Am Ende wird man sich durch wiederholte Übung mit den Erkenntnisverfahren ständig verbessern, oft sogar unbemerkt. Allerdings findet dieser Prozess nur statt, wenn man die eigene Person mit einbindet, sozusagen die eigene oder authochtone „Verschwörungstheorie“. Das ist der schwierigste Teil, immer wieder, manchmal zähneknirschend, die Argumente des Diskussionsgegners vorurteilsfrei zu durchdenken, und wenn sie der Wahrheit näherkommen, zu übernehmen. Je besser das gelingt, desto schneller und gründlicher kann man dann die Verschwörungsspreu vom Weizen der Wahrheit trennen. Leider ist das selten so klar, wie bei der Mehlherstellung. Oft enthält die Spreu noch besonders wertvolle Körner und manchmal enthält der Weizen giftige Mutterkornpilze.
Das Buch ist sehr gut lesbar und unterhaltsam, so dass man es in einem Rutsch durch hat. Es fehlt allerdings ein Stichwortverzeichnis, so dass man Mühe hat, etwas schnell wiederzufinden. Trotzdem 5 Punkte.